Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,

vor allem aber Sie, liebe neu gewählte Ältesten und Diakone,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,

wir scheinen eine Kirche zu sein, die gerne feiert. Wir scheinen eine Kirche zu sein, die eine lebendige Geschichte hat und ihre Traditionen wach hält und immer wieder neu entdeckt. Und obwohl sich vor fünfzig Jahren am 27. April 1960 die ehemals eigenständige niederländische und die eigenständige wallonische Gemeinde zur Wallonisch-Niederländischen Kirche zusammenschlossen, erinnern wir uns doch gerne an beide Zweige unserer Kirche.

Heute nun feiern wir im 413. Jahr seit Gemeindegründung, 65 Jahre nach der Zerstörung, das 50jährige Jubiläum der wiedererrichteten niederländischen Kirche und ich bin dankbar für die Fügung, als 69. Pfarrer in der „series pastores“ in diesem Moment meinen Dienst in der Wallonisch-Niederländischen Kirche zu versehen.

Auf den Einladungen und dem heutigen Gottesdienstblatt finden Sie drei Bilder. Sie zeigen die noch intakte Doppelkirche, wie sie sich mehr als 300 Jahre lang über die Dächer Hanaus erhob. Sie sehen das Bild der Zerstörung 1945, als nur noch Schutt und Asche übrig geblieben waren. Und schließlich sehen Sie eine Luftaufnahme unserer Tage mit dem wiedererrichteten niederländischen Kirchenteil und dem Diakoniezentrum im wallonischen Kirchenteil. Daneben sehen Sie drei Worte: „Glaube, Hoffnung, Liebe“, je im Schrifttyp ihrer Zeit.


Entsprechend lese ich nun den Predigttext für diesen Festtag aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther, den Sie meist von Hochzeiten kennen, aber auch wir haben heute eine Hoch-Zeit zu feiern:

Textlesung: 1. Korinther 13, 1-13

Meine Lieben, Glaube – Hoffnung – Liebe, diese sollen die drei Stichpunkte sein, anhand derer ich nun diesen spannenden Text auslegen möchte und Ihnen die gute Nachricht des heutigen Tages zusprechen werde.

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Der Glaube: Vor über 450 Jahren mussten sich Menschen auf die Flucht begeben, weil sie um ihres Glaubens willen verfolgt wurden. Es waren normale Menschen wie Sie und ich, keine frommen Spinner, sondern gläubige Menschen, die um ihrer Liebe zu Gott willen die Missstände in der päpstlichen Kirche nicht mehr ertrugen. Vielleicht waren sie etwas fundamental und auch radikal, aber sie waren auch bereit, etwas zu riskieren. Was bewundere ich diese Glaubensstärke, ich wünschte sie mir auch in unserer heutigen Zeit.

Nach einer Odyssee durch halb Europa durften diese Menschen schließlich hier in Hanau 1597 beginnen, sich anzusiedeln und ihren Glauben frei und offen zu leben. Dafür bauten sie sich einen eindrucksvollen Kirchenbau, den Tempel ihres Glaubens, der Zentrum nicht nur ihrer Stadt, sondern auch ihres Lebens wurde. Es waren bewegte Jahrhunderte, die sich um die beiden hohen Dächer abspielten. Nicht nur politisch, sondern auch religiös – wobei man das manches Mal nicht so direkt unterscheiden kann.

Oft frage ich mich, mit welchen Gefühlen wohl unsere Gründungsvorfahren damals ihre Koffer gepackt haben und mit welchen Gefühlen sie dann in der fertigen Doppelkirche standen: War es ihr Stolz, Gott und dem Glauben die Treue gehalten zu haben? War es ein Gefühl der Demut und Dankbarkeit, dass unser Gott sie bewahrt und ihnen dieses Fleckchen Erde bereitet hat?

Da sie die erste Straße „im Paradies“ nannten, jene Verbindung zwischen uns und dem Marktplatz, können wir erahnen, dass sie sich wie im Gelobten Land gefühlt haben mussten. Und vielleicht sahen sie in ihrem steinernen Tempel des Glaubens jenen „Ebenenezer“, den Samuel mit den Worten aufrichtete: „Bis hierher hat uns der HERR geholfen“ (vgl. 1. Sam. 7,12).

Paulus schreibt: „Und wenn ich all meine Habe den Armen schenkte und wenn ich meinen Leib hingeben würde, um Ruhm zu gewinnen, und hätte die Liebe nicht, so würde es mir nichts nützen.“ (V. 3) Für reformierte Christen – auch für andere natürlich – war und ist es selbstverständlich, dass ein lebendiger Glaube auch in Werken der Nächstenliebe sichtbar wird.

So entstanden im Laufe der Zeit eine eigene Schule, ein Waisenhaus, eine Kinderkrippe, eine Druckerei als Ausbildungsstätte für die männlichen Waisen, eine Almosenkasse und andere Hilfsdienste. Und aus Liebe zu diesem gelobten Stück Land entstand ein pulsierendes öffentliches Leben im Schatten der Kirche.

Volk Gottes, dann kam jene Schreckensnacht, die alles veränderte: Am 19. März 1945 legten Bomber fast ganz Hanau in Schutt und Asche. Unzählige Kinder, Frauen und Männer verloren ihr Leben – für einen sinnlosen Krieg, durch den Größenwahn Weniger. Deshalb ist das zweite Wort angesichts der Trümmer die Hoffnung.

Als die Menschen ihre Bunker verließen und aus den Schutthaufen kletterten, standen ihnen Tränen in den Augen – davon bekomme ich immer wieder bei meinen Hausbesuchen erzählt. Wut wandelte sich in Resignation und Resignation schließlich in Hoffnung.

Ich habe erzählt bekommen, dass es Pläne gab, Hanau an anderer Stelle neu aufzubauen – was vielleicht einfacher gewesen wäre. Aber die Überlebenden wollten ein Zeichen der Hoffnung setzen, nämlich dass Krieg niemals das letzte Wort haben darf und dass – christlich gesprochen – aus dem Tod Leben erwächst.

Mit vielen Hoffnungen gingen Sie damals ans Werk: der Hoffnung, dass es wieder besser wird; der Hoffnung, dass sich so etwas niemals wiederholen dürfte; der Hoffnung, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ob diese erfüllt sind, dies muss jeder für sich selbst beantworten – manches Mal habe ich da so meine Zweifel.

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Auch für unsere Kirche war es eine Zeit, in der der Realität viel Hoffnung entgegen gesetzt werden musste: Da die Innenstadt fast völlig zerstört war und damit auch die Glieder dieser Kirche verstreut in alle Richtungen waren, war es eine mutige Entscheidung der damaligen Verantwortlichen, an dieser Stelle weiterhin ein Zentrum des reformierten Glaubens zu haben.

Ich bin dankbar, dass ich noch Pfarrer Werner Brölsch, der damals Pfarrer der Kirche war, kennen lernen durfte und habe ihm gerne vor wenigen Wochen die letzte Ehre erwiesen, als er im 100ten Lebensjahr zu unserem himmlischen Vater heimgerufen wurde.

Die Hoffnung motivierte viele und die Großzügigkeit aller machte das Unmögliche möglich: nach einer Übergangszeit in der Nußallee wurde am 22. Mai 1960 dieser niederländische Kirchenteil festlich wieder in Dienst genommen, woran wir uns heute erinnern.

Paulus schreibt: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe ist nicht eifersüchtig, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verletzt nicht den Anstand, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie trägt das Böse nicht nach, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ (V.4-7)

Heilige Gottes, die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen machen all diese Dinge möglich, von den Paulus hier schreibt. Vielleicht wäre es für uns selbst einmal spannend, das Wort Liebe durch „ICH“ zu ersetzen. Ehrlich muss ich eingestehen, dass ich dann an diesem Anspruch an mancher Stelle scheitern würde und immer wieder werde.

Und doch ist es unserer Wallonisch-Niederländischen Kirche ins Stammbuch geschrieben, zumindest diesen Anspruch anzustreben und uns immer wieder an ihm zu messen, wie wir miteinander innerhalb wie außerhalb unserer Kirchenmauern umgehen.

Vielleicht lässt sich das Wort Liebe an mancher Stelle auch durch Gelassenheit ersetzen. Gelassenheit – und damit meine ich nicht Gleichgültigkeit – würde so viel Spannung und Konfliktpotential aus unserem menschlichen Miteinander nehmen, dass so viele menschliche Anstrengungen auch wirklich ans Ziel gelangen, statt als warme Worte zu verhallen oder als Konzeptpapiere in den Schubladen zu verschwinden.

Das gilt für die Wirtschaft und für die Politik, das gilt aber vor allem auch für uns Christen, wenn wir den Anspruch nicht verlieren wollen, glaubwürdig andere zu kritisieren und ihr Tun zu hinterfragen. Christen sind keine besseren Menschen, aber doch sollte unser Verhalten besser sein als jenes derer, die an Nichts glauben. Paulus kann uns dafür heute Morgen eine gute Hilfestellung sein.

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Glaube – Hoffnung – Liebe. Seit 50 Jahren feiern wir nun an diesem Ort wieder Gottesdienste, kommen zu Konzerten zusammen und bilden uns an manchem Vortrag. Wir haben es wieder geschafft, das „in Trümmer-Liegende“ mit neuem Leben zu füllen. Wir haben standhaft unseren Glauben und unsere Selbständigkeit verteidigt, wo andere uns einverleiben wollten.

Nicht immer werden wir dafür geliebt, oftmals angefeindet, ausgegrenzt oder sogar belächelt. Das war schon immer so und ich befürchte, dies wird auch so bleiben. Ein Wort Jesu soll uns dafür entschädigen, wenn er in der Bergpredigt sagt:

„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“ (Mtth 5, 11f.)

Meine Lieben, seit nunmehr 25 Jahren dürfen wir dankbar sein, dass unter unserem Kirchendach dank der Kathinka-Platzhoff-Stiftung der Diakonische Auftrag in einem großen Umfang wahrgenommen wird. Dies ist das Liebeswerk unserer Kirche. Menschen werden betreut, haben einen Platz der Begegnung und vor allem die Kinder werden nicht in vorgefertigte Bilder gepresst, sondern wachsen frei heran. Deshalb mag es zwar traurig sein, dass der wallonische Kirchenteil eine Ruine ist – noch, wer weiß :) –, aber es erfüllt mich mit Stolz, dass er dank des Diakoniezentrums eine Stätte des Miteinanders der Generationen ist.

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In einem Sitzungsprotokoll von 1852 las ich folgende Notizen. Die erste kann ich nur unterstreichen: „Man solle in dieser Zeit der Anfechtung treu sein auch im Gottesdienst, besonders sollten die jüngeren Mitglieder angehalten werden, fleißiger die Kirche zu besuchen.“ Leider ist unsere Kirche nicht an jedem Sonntag so gut besucht, was ich bedauere. Rein rechnerisch würde es doch eine gute Idee sein, wenn jedes Kirchenglied unserer über 1100 Mitglieder einmal pro Monat in den Gottesdienst gehen würde – vielleicht ein Ziel für die kommenden 50 Jahre.

Die zweite Notiz ist aber wesentlich wichtiger: „Die Vorsehung, welche sich dahier eine Kirche wie die unsrige hat gestalten lassen, wird sie auch erhalten, wenn in ihrer Glieder mehr Geist kommt, der sie gegründet hat; der Geist der sich selbst aufopfernden Liebe Jesu Christi unseres Heilandes.“

Liebe Schwestern und Brüder im HERRN, liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens, auch ich glaube an diese Vorsehung. Ich glaube daran, dass es Gottes Fügung war und ist, diese Kirche an diesem Ort entstehen zu lassen und am Leben zu erhalten. Ich glaube an die Vorsehung, die mich an diesen Ort berufen hat, um dieser Kirche in dieser Zeit zu dienen und das prophetische Wort zu verkünden.

Ich glaube an die Vorsehung, dass es kein Zufall ist, dass Sie heute Morgen hier sind, sondern dass uns der Geist zusammen geführt hat. Das macht mich gewiss und mutig, offen, einladend und immer wieder reformierend der Zukunft entgegen zu gehen, was auch immer an Widerstand kommen mag. Der Heilige Geist erfülle uns alle mit Glaube – Hoffnung – Liebe.

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Dieser Geist gibt unserer Kirche mannigfaltige Gaben und wir dürfen zu keiner Zeit den Dank vergessen, dass ER uns an dieser Stelle im Herzen Hanaus durch die Stürme der Zeit seit über 400 Jahren bewahrt und erhält. Dabei hat jeder seinen Platz, jeder seine Aufgabe, mit zupackenden oder gefalteten Händen. Jeder darf und soll sich einsetzen zum Bau seiner Kirche und seines Reiches.

So wie unsere Vorfahren es uns hier an die Empore geschrieben haben: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, dazu auch du berufen bist.“
Dabei begleite uns das Wort des Apostels: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Daran glaube ich, davon predige ich und dies bezeuge ich im Namen Jesu Christi! AMEN!

 


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Alte Altarbibel aus Utrecht