Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres
Glaubens,

Portrait Pfarrer Telder 2018 web

nun ist das neue Jahr schon einige Tage alt. Es steht unter der Jahreslosung: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Wir haben diesen Vers im Kontext eben als Predigttext gehört.

Einige Ansprachen, Andachten und Predigten habe ich mittlerweile dazu gehört. Und viele gingen vor allem um eines – und um es zu verdeutlichen, habe ich mir einmal eine Requisite mitgebracht: Man muss halt manchmal die rosa Brille aufsetzen, um die Welt lieb zu zeichnen. Man muss in Liebe fünf auch einmal gerade sein lassen und vor allem Liebe verzeiht doch alles und trägt nichts nach. So hat es ja auch Paulus im Hohenlied der Liebe im selben Brief an die Korinther geschrieben.

Aber sind wir einmal ehrlich: wir können nicht immer mit einer rosa Brille im Leben herumlau-fen. Und so schön es wäre, in einer Welt voller Liebe zu leben, die Realität ist eine andere. Hat dies der Apostel Paulus etwa übersehen? Ist er etwa blind vor Liebe vor den Herausforderungen?

Ich bin der Jahreslosung im Kontext gefolgt und stellte etwas Erschreckendes fest. Hierin geht es gar nicht um Flower-Power und Friede, Freude, Eierkuchen. Ganz im Gegenteil – Paulus hat ein ernstes Anliegen.

Um das zu verdeutlichen, ist mir ein verstorbenes Gemeindeglied eingefallen, das mir über Jahre hinweg zur Herausforderung wurde. Sie litt an einer seltenen Krankheit: Narkolepsie – eine Art Schlafkrankheit. Bei ihr äußerte sie sich, dass sie plötzlich von einer Schlafattacke heimgesucht wurde.

Dies konnte sogar mitten während eines Gesprächs passieren. Aber auch während eines Spaziergangs auftreten. Zum Glück hatte sie einen Rollator und lief dann einfach mit geschlossenen Augen und fast ohne Bewußtsein weiter. Es ist nie etwas passiert, aber was wäre gewesen, wenn sie einmal vor ein Auto gelaufen oder in den Main gefallen wäre?

Vielleicht hatte der Apostel solche Menschen im Blick, als er seinen Brief formulierte. Nicht kör-perlich Betroffene, sondern Menschen mit einer spirituellen Schlafkrankheit: sie liefen irgend-wie durch ihr Leben und verschliefen doch die christliche Botschaft.

Spirituelle Schlafwandler sind sich oft der spirituellen Gefahren, die sie umgeben, völlig unbe-wusst, und was sie nicht wissen, kann ihnen und anderen schaden.

Das war es, worüber sich der Apostel Paulus bei den Korinthern beklagte, als er seinen ersten Brief an sie Mitte 50 n. Chr. abschloss. Ich stelle mir vor, dass er sich, als er den Brief abschloss, überlegte, was er seinen Geschwistern im Glauben sagen solle, um zu verhindern, dass sie noch weiter von Christus entfernten.

Denn die Gemeinde in Korinth war durchaus eine Herausforderung: Es gab Streit darum, wann eine Taufe gültig sei und ob es vom Taufenden abhinge. Dann gab es Ärger um das Heilige Abendmahl: während manche nichts mehr zu essen bekamen, waren andere schon satt und betrunken, bevor die Mahlfeier überhaupt anfangen konnte. Sie nahmen es mit der Moral nicht so ernst und nach damaligen Verständnis gab es einige Ausschweifungen. Und vor allem relativierten sie den Kreuzestod Christi und stellten ihre eigene Weisheit über Gott und waren auch noch stolz darauf.

Da muss sich der Apostel doch gedacht haben, dass diese Korinther einen sehr leichten Blick auf ihr geistliches Leben nahmen und vor allem dass sie wie Schlafwandler durch das Leben gingen, als gäbe es keine wirklichen Gefahren für ihren eingeschlagenen Weg des Glaubens.

Und deshalb beginnt unser heutiger Predigttext mit seiner Aufforderung: (V.13) „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!“ Aufwachen hieß es für die Korinther und ich meine, dass auch für unsere Zeit, in der alle Kirchen und Gemeinden sich in einer Krise oder Umbruchszeit befinden, diesen Ruf zur Wachsamkeit nötig haben.

Denn die Kirche in Korinth ging verschlafen ihren Weg durch ihr geistiges Leben und er-kannte dabei nicht, dass diese Welt und die unsichtbare spirituelle Welt voll von Versuchungen und ja, so möchte ich es nennen: auch böser Geister war. Sie waren geistig nicht wachsam gewesen. Ihr laxer Umgang mit dem Christentum und die geistlichen Gefahren in ihrem heidni-schen Klima hatten zu Stolz, Spaltungen unter ihnen, Cliquen, Rechtsstreitigkeiten, Götzen-dienst, Ausschweifungen und dem Missbrauch spiritueller Gaben und der Verwicklung in fal-sche Lehren geführt.

Deshalb ermahnt er die Korinther: „Seid auf der Hut und aufmerksam, steht im Glauben, seid mutig und stark! Und lasst alles, was ihr tut, in Liebe geschehen.“ Dieses „seid wachsam“ gilt bis heute. Denn die Welt, die uns umgibt, mit ihren politischen und wirtschaftlichen Systemen, versuchte und versucht noch immer – vielleicht stärker denn je – den christlichen Glauben an den Rand zu drängen oder für eigene Ziele zu missbrauchen. Manchmal passiert dies offen, etwa wenn ich an die zunehmenden Christenverfolgungen weltweit denke; manchmal heimlich, still und leise, wenn versucht wird, christliches Leben zu erschweren und die Existenz von Kirche in Frage zu stellen.

Wer wachsam ist, kann dann auch fest im Glauben stehen. Ich denke, wenn Paulus hier über „den Glauben“ spricht, spricht er sowohl über den Inhalt des Glaubens – die biblischen und dogmatischen Lehren, aber auch im Hinblick auf Verhaltensweisen. Wir müssen die Wahrheit des Evangeliums, die Wahrheit dessen, was die Bibel lehrt, erkennen und dann daraus folgern, dass der Glaube zu einem guten Handeln führen wird.

Deshalb werde ich in Gesprächen und Diskussionen immer nervös, wenn die Heilige Schrift infrage gestellt wird. Wenn man zu schnell sagt, dass sie nicht mehr zeitgemäß ist oder wir heute doch in einer anderen Welt leben als damals. Wirkliche Glaubenswahrheiten sind zeitlos und wenn wir unsere Fähigkeit trainieren, den Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum zu erkennen, dann müssen wir auch zu der erkannten Wahrheit stehen und müssen standhaft bleiben.

Ja, das braucht manchmal Mut und dazu ermutigt uns auch der Apostel. Viele Menschen haben Angst, sind unsicher, fühlen sich nicht berufen, wenn sie gegen falsche Lehre und Kompromisse Stellung beziehen sollen. Damals in Korinth wurden solche mutigen Männer und sicher auch Frauen von ihren eigenen sogenannten Mitgläubigen verfolgt, angeklagt, verleumdet und möglicherweise sogar abgelehnt.

Glaube braucht eben auch immer Mut. - Sicherlich haben wir dies mit der Zeit verlernt, da wir es ja gut im vermeintlich christlichen Abendland hatten. Aber haben sich die Zeiten nicht längst geändert? Braucht es nicht viel mehr mutigen Glauben? Im griechischen Urtext ist das Verb übrigens in der Passivform. Und dann könnte es wie folgt übersetzt werden: „lasse dich mutig machen!“ Sicherlich denkt Paulus, dass diese Frage des mutigen Festhaltens im Glauben nicht etwas ist, was wir aus unserer eigenen Stärke heraus tun können. Wir müssen von Gott stark gemacht werden. Wir müssen für den Mut und die Kraft beten, wenn alle Kräfte des Bösen gegen uns aufstehen, weil wir für das einstehen, was aus der Perspektive Gottes richtig ist.

Meine Lieben! Und dann, nach diesen auffordernden und ermahnenden Worten, folgt der Vers der Jahreslosung: (V14) „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Paulus wird oftmals als Hardliner bezeichnet, der das Evangelium ungnädig auslegt. Ich möchte eine Lanze für ihn brechen, denn er hat durchaus auch mit gnädigen Augen den Menschen im Blick.
Ein Beispiel: Paulus hält an der Unauflöslichkeit der Ehe fest. Aber er erlaubt den Korinthern sich dann doch scheiden zu lassen, wenn der Glaube ein Ehepaar spaltet. Und er vertritt auch die Einmaligkeit der Ehe, stellt es aber Witwen frei, erneut zu heiraten, bevor sie unglücklich werden (1. Kor. 7).

Daraus folgt für mein eigenes Handeln als Pfarrer: auf der einen Seite muss die Lehre kompromisslos in der Öffentlichkeit vertreten werden, auf der anderen Seite gibt es Einzelfälle, wo die Lehre durch die Liebe eine große Weite erfährt. Und ich denke, dass dies auch richtig so ist: was wäre es für eine Hochzeit, wenn der Pfarrer im schönsten Augenblick von Scheidung und Trennung und neuen Chancen sprechen würde. Nein: dies hat dann erst in der Seelsorge seinen Platz.

Leider wurde und wird das „Liebes-Argument“ oft missbraucht, um möglichen Streit aus dem Weg zu gehen und sich einander anzubiedern.

Meine Erfahrung aber ist, dass mit kleinen Kompromissen oftmals der Weg in die Bedeutungslosigkeit eingeschlagen wird. Oftmals sicherlich aus guten Motiven. Wenn ein Nachbar neu einzieht, der katholisch ist, muss man ja nicht gleich über die Unfehlbarkeit des Papstes diskutieren. Oder wenn ein muslimischer Freund zum Kindergeburtstag eingeladen wird, ist sicherlich nicht der Moment, um ihm zu sagen, dass gerade er Jesus braucht, um in den Himmel zu kommen.

Wenn aus solchem liebgemeinten, nachlässigen Verhalten aber die Norm wird, beginnen wir, uns von unserem eigenen Glauben zu entfernen. Für mich gipfelt dies vor allem im religiösen Kontext darin, dass um der Liebe und Ruhe willen, der Satz scheinbar zum Dogma wurde „wir glauben doch eh alle an denselben Gott.“

Ich war dankbar, als Pröpstin Kropf-Brandauer in ihrem diesjährigen Weihnachtsinterview fol-gendes Bekenntnis ablegte: „Die These, dass alle Religionen gleich seien und alle an densel-ben Gott glauben würden, ist ein Irrglaube. Aus biblischer Perspektive glauben nur Juden und Christen an denselben Gott. (HNA)“.

Wann haben Sie das letzte Mal einen Kirchenvertreter von Häresie (Irrglaube) sprechen hören? In Hanau sind wir doch seit geraumer Zeit andere Äußerungen gewöhnt – bedenklich, aber beruhigend, eine wachsame und mutige Frau in einem Leitungsamt zu erleben!

Liebe, Verständnis und Toleranz darf also niemals zur Aufgabe des eigenen Glaubens führen.

Liebe ist aber die Kraft, aus der heraus wir in allen Lebenslagen unseren Glauben bekennen sollen. Liebe hat ein großes Herz für den einzelnen, aber ein noch größeres für die Wahrheit des Glaubens.

Was würde Paulus wohl heute den Kirchen und Gemeinden in Deutschland sagen? Wacht auf! Stoppt das Schlafwandeln und erkennt die Zeichen der Zeit. Steht fest und mutig in eurem biblischen Glauben – der Glaube, der einst den Heiligen im Neuen Testament, von den Aposteln gegeben wurde.

Geschwister im HERRN! In den folgenden Versen nennt der Apostel deshalb auch einige seiner Freunde und Mitarbeiter, an denen sich die Gemeinde auch orientieren kann und soll. Es ist interessant, was er über den Haushalt von Stephanas sagte.

Stephanas und sein Haushalt hatten sich dem Dienst der Heiligen gewidmet. Ich vermute, dass sie in der Lage waren, sich ganz dem christlichen Dienst in der Kirche von Korinth zu widmen. Wahrscheinlich hatte er keine offizielle Ordination oder ein Amt, um sich zu engagieren. Und solche Menschen braucht es bis heute, denn alle arbeiten gemeinsam im Weinberg Gottes – nicht nur die Hauptamtlichen.

Paulus schließt dann seinen Brief mit den typisch persönlichen Grüßen, die in vielen seiner Briefe vorkommen. Doch inmitten seines Segens an die Korinther haben wir einen seltsamen Vers, der scheinbar wenig Herzlichkeit ausdrückt.

Es gibt wohl eine Gruppe von Menschen, die vielleicht zumindest in Korinth zur sichtbaren Kirche gehören, die er aber nicht segnet. Er verflucht sie! Können Sie sich vorstellen, dass, da er endlich zu einem herzlich abschließenden Teil seines Briefes kommt, er noch immer etwas Gift in seinem Stift hat: (V22:) „Wenn jemand den Herrn nicht liebt, soll er verworfen werden.“

Warum sollte Paulus gezwungen sein, einen so negativen Kommentar inmitten von so viel Segen und Liebe zu machen? Ich vermute, es liegt daran, dass der Apostel wusste, dass die Probleme in Korinth nicht alle auf das Konto von Gläubigen gingen, sondern Ungläubige, die sich in die Kirche eingeschlichen hatten und die die Gemeinde durcheinanderbrachten. Davon haben wir auch bereits in der Lesung gehört: (V 4:) „Denn es haben sich einige Menschen eingeschlichen, über die schon längst das Urteil geschrieben ist: Gottlose sind sie, verkehren die Gnade unseres Gottes ins Gegenteil, in Ausschweifung, und verleugnen unsern alleinigen Herrscher und Herrn Jesus Christus.“

Carissimi! Wie also gehen wir in das Jahr 2024 unter der Jahreslosung: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“? Ich würde mir wünschen, dass wir aufwachen und wach bleiben und uns mehr über den Glauben austauschen und auch mehr über den Glauben reden, bei uns in der Kirche und hinein in die Stadt Hanau. Dass wir einen Standpunkt vertreten, an dem sich Menschen orientieren können und vielleicht wieder einen Weg zurück zur Kirche finden.

Ich würde mir wünschen, dass aus unserem Glauben eine liebende Offenheit entsteht, die Menschen anspricht. Kompromisslos im Glauben, aber zugewandt in der Liebe. So wie es schließlich auch im Judasbrief zu lesen war: „21 und bewahrt euch in der Liebe Gottes und wartet auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben. 22 Und erbarmt euch derer, die zweifeln; 23 andere reißt aus dem Feuer und rettet sie; anderer erbarmt euch in Furcht, wenn ihr auch das Gewand hasst, das befleckt ist vom Fleisch.“

Und ich schließe mit Paulus: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ AMEN

- Es gilt das gesprochene Wort! -