Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
vor allem Sie, liebe Konfirmations-Jubilare,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,
werte Konsistoriale im Apostelamt unserer Kirche,

1948, 1953, 1958, 1963 und 1973 wurden Sie hier oder in einer anderen Kirche konfirmiert. Die beiden ersten Jahrgänge nach dem Krieg wahrscheinlich in der Nussallee, ab 1963 und 1973 dann hier in der wieder auferbauten Kirche. Sie waren meistens große Jahrgänge – nicht wenige Ihres Jahrgangs sind bereits verstorben oder nicht mehr mobil, so dass sie heute diesen Gottesdienst nicht mit uns feiern können.

Es waren immer spannende Jahre, in denen Ihre Konfirmation stattfand: 1948 wurde Berlin durch eine Luftbrücke ernährt und der Staat Israel wurde ausgerufen, was leider nicht zum erhofften Frieden in der Region führte. Aus Dankbarkeit wurde in den USA für schwarze Soldaten die Rassentrennung beim Militär aufgehoben, erst 20 Jahre später dann in allen Bereichen.

1953 fand am 17. Juni der Aufstand in der DDR statt, Stalin starb und Elisabeth II. wurde in der Westminster Abbey gekrönt – meine Generation hat erst in diesem Jahr wieder eine Krönung in England erlebt. Fidel Castro putscht sich in Kuba an die Macht. „Lukas, der Lokomotivführer“ und „Urmel aus dem Eis“ wurden im Fernsehen aus der Augsburger Puppenkiste übertragen.

1963 wurde Kennedy ermordet, Paul VI. wurde in Rom zum Papst gewählt. Martin Luther King hielt seine bekannte Rede „I have a dream“ und Konrad Adenauer ging in Rente. Seit diesem Jahr gehört „Dinner for one“ zum festen Fernsehbestand an Silvester und das ZDF nahm seinen Betrieb auf.

1973 schließlich brachte die Ölkrise mit sich. Helmut Kohl wird Vorsitzender der CDU. Die USA wunderten sich über die Watergate Affäre, freuten sich aber über die Zwillingtürme des World Trade Centers. Und in der Bundesliga durfte endlich Trikotwerbung stattfinden und die Vereine wurden reich.

Und ohne eine große Schlagzeile wurden Sie in diesen Jahren konfirmiert. Manches kommt uns wie gestern vor, bei anderem müssen wir nachdenken, ob wir uns noch erinnern. Erinnern hat auch viel mit Gnade zu tun – zu entdecken, wie weit man es im Leben gebracht hat, was man sicherlich auch der Hilfe Gottes zu verdanken hat.

Zu diesem Gott haben wir uns alle heute Morgen aufgemacht. Wir sind gekommen in sein Haus, welches das Zentrum unserer Wallonisch-Niederländischen Kirche ist. Das ist sein Heiligtum. Das ist nicht nur ein Ort der Anbetung, sondern regelrecht eine Wohnstätte, in der die Gottheit haust, mit Türen zum Ein- und Ausgehen. Menschen haben sich das schon immer auch so vorgestellt. Schon vor urlanger Zeit. Dass ein Gott die Menschen begleiten könnte, dieser Gedanke ist innerhalb der Menschheitsgeschichte relativ jung. Bei ihm zu wohnen, in seinem Tempel, das ist einfach schön! Wie es auch im Psalm anfangs lautete: Ich möchte bleiben im Hause des Herrn – der seinen Platz in jeder Konfirmation hat.

Doch sobald wir Menschen mobil werden, sobald wir unseren Lebensraum ausweiten, Wohnungen wechseln und lange Wege gehen, brauchen wir Begleitung und dies wurde Ihnen damals als Konfirmanden auch zugesprochen.

Diese Entdeckung, dass Gott versprochen hat, uns zu begleiten, ist der Anlass für das dankbare Zurückblicken auf eine Konfirmation. Damals, vor 50, 60, 65, 70 und 75 Jahren wurden Sie konfirmiert. Sie haben damals „ja“ gesagt zu Ihrer Taufe und damit zu Gott. Im Vertrauen, dass Gott alle Wege begleitet, wo immer sie auch hinführen. Lange Wege mitunter, in entfernte Ecken unseres Landes, unseres Kontinentes, unserer Welt. Der Zeitraum, den wir überblicken, ist in seiner Art unglaublich vielfältig gewesen. Und damit meine ich Ihr Leben, nicht jenes, welches in den Geschichtsbüchern zu finden ist.

Die Ersten unter Ihnen haben das Fest gefeiert unter dem Eindruck des Krieges im Nachkriegsdeutschland. Überstanden war er, mit furchtbaren Folgen. Zerbombte Städte, kaputte Kirchen, aber das Fest der Konfirmation wurde gefeiert. Welche Ängste, welche Not war damals wohl noch in Ihnen? Gab es das Gefühl des Aufbruchs? Es gab wieder Ziele, es gab wieder die Möglichkeit, eine Zukunft zu haben.

Heute erinnern Sie sich daran. Vielleicht spüren Sie, dass Gott weite Wege mit Ihnen zurückgelegt hat. Sie haben viele Pforten, viele Türen aufgetan. Türen des Lebens waren es. Dazwischen sind es sicher hin und wieder die Pforten einer Kirche gewesen, durch die Sie gegangen sind.

Meine Lieben! Leben ist Zeit, wie es der Prediger in der Lesung sagte. Leben, das sind Bilder, die ich erinnere, Momente, die ich bewahre, Räume, die ich durchschreite. Menschen gehen von Raum zu Raum. Leben bietet Lebensraum, der nach bestimmten, nicht immer zu durchschauenden Regeln erobert und dann wieder verlassen wird. Dazwischen sind Türen, die wir mehr oder weniger energisch auftun.

wng hanau 2023 12 26

Es beginnt mit der Geburt. Die erste menschliche Wohnung, der Mutterleib, wird verlassen. Wenn der Mensch Glück hat, dann findet er draußen eine gute Stube vor. Ein meist kleines
Zimmer, das allmählich zur Welt wird. Der Mensch erobert mit allen Sinnen diese Kinderzimmer-Welt. Riechen, schmecken, hören. Sehen, anfassen und begreifen. Ach, die Welt ist aufregend!

Dann aber kommt der große Tag, an dem der Mensch die erste Tür selbstständig öffnen kann. Eine neue Welt liegt vor ihm. Es ist immer die Frage, ob der Mensch, ob wir es wagen können, diese neuen Welten zu erobern. Wagen wir den Schritt über die Schwelle? Noch gibt es Eltern, die aufpassen, dass wir die richtigen Türen öffnen. Noch leben wir behütet. 

Welche Türen gibt es noch in Ihrer Erinnerung? Das große Portal, das den Beginn der Schulzeit kennzeichnet, kann man nicht allein öffnen. Dazu muss die Zeit reif sein. Einschulung! Lange Gänge gibt es, merkwürdige Gerüche kennzeichnen diese Häuser. Menschen, die unterrichten. Manche werden verehrt, manche werden gefürchtet. Schuljahre, in denen dieses erste Portal dann bald selbstverständlicher Durchgang geworden war. 

Irgendwann verlässt man die Schule und das Portal schließt sich. In dieser Zeit liegt auch der Gang zur Kirche, um den Konfirmationsunterricht zu besuchen. Auch eine Tür, die sich öffnet und dann wieder schließt. Man tritt hinaus und geht seinen Weg. Neue Welten liegen vor den Menschen, unterschiedliche Wege. Manch einer klopft an die Tür eines Meisters, um die Lehre zu  beginnen. Oder das Lernen geht auf der Schulbank weiter, nur, dass es jetzt Studium heißt. Aber auch hier gibt es Türen, die aufgemacht werden müssen. Das Schlottern der Knie vor der  Prüfung am Ende dieser Zeit, das wird wahrscheinlich in allen Jahren dasselbe geblieben sein.

Andere Türen sind aber auch wichtig. Wieder kann es die Kirche sein, in die man einzieht. Feierlich, aufgeregt und geschmückt. Frauen und Männer feiern ihre Begegnung, ihr Glück. Manch eine wird über die Schwelle getragen, hinein in einen neuen Lebensraum. An die Tür, die nun gemeinsame, wird ein neues Namensschild geschraubt. Und das Leben geht weiter. Neue Menschen werden geboren, Familien wachsen. Türen öffnen sich und schließen sich. Es kommt die Zeit, in der ich darüber nachdenken kann, durch wie viele ich gegangen bin. Mit knapper Not bin ich durch manche noch schnell gerutscht. Bei anderen bin ich froh, wenn ich nicht daran erinnert werde! Sie bedeuten Abschied, Trennung und Schmerz. Schon an manchem Grab musste ich  zusammen mit Ihnen stehen.

wng hanau 2023 12 27

In den letzten Jahren haben sich Türen geöffnet, von denen wir dachten, sie wären für immer zumindest in Europa geschlossen. Wir mussten nicht nur miterleben, wie Flüchtlingsströme nach Deutschland kamen, wie die Vertriebenen nach dem Krieg oder auch die Welle von Gastarbeitern. Seit fast zwei Jahren haben wir an den Außengrenzen Europas wieder Krieg in der Ukraine, bei manchem wecken die Bilder im Fernsehen unschöne Erinnerungen.

Und seit zwei Wochen wieder Krieg in Israel und Antisemitismus auf deutschen Straßen – dachten wir nicht alle, diese Zeit wäre vorbei? Dass sich in Deutschland Juden hinter ihren eigenen Türen nicht mehr sicher fühlen? Wie gerne würde ich all diese Türen verschließen und den Schlüssel wegwerfen und niemals wieder finden.

wng hanau 2023 12 28

Uns allen stehen noch so manche Türen bevor. Frohe und traurige Türen - aber durch alle, wirklich alle, können wir mutig und getröstet gehen, denn unser Gott geht mit. So, wie er uns getragen, geholfen und gestützt hat - ohne dass wir oft darüber nachgedacht haben. Egal welche Türen es waren, sind und noch sein werden – zumindest in dieser Stunde dürfen wir an Vergangenes denken und wir sagen „danke“. Danke, Gott, für deine Hand, die uns hält und trägt, die uns stützt und tröstet. Die uns streichelt und immer wieder sagt: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, ich halte dich bei meiner Hand auf deinem Weg in die Zukunft.

Und auch über unserer Gemeinde hält Gott durch die Zeiten hindurch seine schützende und segnende Hand. Beten wir und glauben wir, auch für unsere Wallonisch-Niederländische Kirche, die – so Gott will und wir alle tatkräftig mitanpacken – eine fantastische Zukunft haben wird. Wie es eben im 92. Psalm heißt: „Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon. Die gepflanzt sind im Hause des HERRN, werden in den Vorhöfen unsres Gottes grünen. Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein.“

wng hanau 2023 12 30

Darauf vertraue ich, davon predige ich und bezeuge es im Namen Jesu Christi. AMEN

- Es gilt das gesprochene Wort! -