Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,
werte Konsistoriale im Apostelamt unserer Kirche!

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ So soll es in diesem Jahr über unserem Gemeindegründungsfest stehen. So ähnlich war es auch eben im Anspiel mit Zachäus: Er ließ nicht eher locker, bis er Jesus sehen konnte, bis er sein Leben in seinem Schein neu gestalten konnte.

Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,
werte Konsistoriale im Apostelamt unserer Kirche!

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ So soll es in diesem Jahr über unserem Gemeindegründungsfest stehen. So ähnlich war es auch eben im Anspiel mit Zachäus: Er ließ nicht eher locker, bis er Jesus sehen konnte, bis er sein Leben in seinem Schein neu gestalten konnte.

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Mit dieser Hoffnung sind auch unsere Glaubensvorfahren vor fast fünf Jahrhunderten aufgebrochen, immer zwischen Hoffen und Bangen, ob denn der Kampf um das Überleben und die Treue zum reformierten Bekenntnis am Ende auch reiche Früchte tragen, gesegnet sein würde. 

Dieser Vers „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ hat im Laufe der Jahrtausende ungezählten Menschen geholfen, aus verzweifelten Situationen heraus durchzudringen zum lebendigen Gott. Er kann und will auch uns heute Morgen zum rettenden Anker werden in den Nöten und Bedrängnissen, die uns bereits getroffen haben oder eines Tages noch treffen könnten. Denn nicht immer ist uns zum Feiern zumute, auch wenn ich jetzt nicht die Stimmung verderben möchte.

Wir wollen versuchen, diese Verheißung aus dem Zusammenhang heraus, in dem sie zum ersten Mal gesprochen wurde, zu verstehen.

Jakob hatte einst wegen des Ergaunerns des Erstgeburtsrechtes vor seinem wütenden Bruder Esau nach Mesopotamien fliehen müssen. Nach vielen Jahren machte er sich aber wieder auf den Heimweg. Am Grenzfluss Jabbok im Ostjordanland wurde er in der dunklen Nacht von einem Unbekannten angefallen, mit dem er bis in den Morgen hinein auf Leben und Tod kämpfte. „Ein Mann rang mit ihm, bis die Morgenröte aufstieg“, heißt es im Predigttext.

Es muss ein fürchterlicher Nahkampf gewesen sein. Der Unbekannte habe Jakob nicht zu überwältigen vermocht. Er habe ihn aber derart auf die Hüfte geschlagen, dass diese sich verrenkte. Damit war Jakob kampfunfähig geworden. Der schlaue, starke Jakob, gewohnt sich auf seine Gewandtheit und Kraft zu verlassen, konnte nicht mehr auf seinen eigenen Füssen  stehen. 

Aber nun tat er etwas ganz Ungewöhnliches: Er gab sich nicht geschlagen, ließ sich nicht fallen, sondern umklammerte seinen Gegner mit eisernem Griff, so wie sich etwa ein Ertrinkender an seinen Retter klammert. Schließlich musste der Gegner bitten: „Lass mich los, denn das Morgenrot ist da“. Jakob aber gab zur Antwort: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

Meine Lieben! Eine merkwürdige Geschichte! Wer ist dieser Mann, der mit Jakob rang? Es könnte vielleicht ein Vampir gewesen sein, ein lichtscheuer Geist, der sich vor dem anbrechenden Tageslicht verziehen musste. Und so rätseln die Religionsforscher an dieser uralten Geschichte herum – ohne wirklich zu einem Ergebnis zu kommen. 

Jakob aber war hinterher überzeugt, er habe in dieser dunklen Nacht mit Gott selber gerungen. Er gab diesem unheimlichen Ort den Namen Pniel, d. h. Angesicht Gottes: „Denn ich habe Gott geschaut Angesicht gegen Angesicht, und das Leben wurde mir gerettet.“

Ja, das ist uns nicht fremd, dass ein Mensch von einem Augenblick auf den andern in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt wird. Der Gegner kann uns in Gestalt eines Menschen überfallen; es könnte auch eine dämonische krankmachende Macht sein, vielleicht auch ein Gemütszustand, ein schweres Unglück, ein Schicksalsschlag, ein Glaubenszweifel. 

Wer oder was immer es sein mag — wir können solchen Kämpfen nicht ausweichen. Aber es kann in ihnen und durch sie zu einer Begegnung mit Gott kommen, wie wir sie bisher noch nie erlebt haben. Wir tun darum gut, offen und vorbereitet zu sein auf derart befremdliche Begegnungen mit Gott.

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Oder meinen Sie etwa, dass unsere Glaubensvorfahren mit Lobliedern auf den Lippen ihre Heimat verließen oder nicht vielmehr genügend Gründe zur Klage gehabt hätten? Stimmten sie nicht erst hier in Hanau ein Danklied an und nannten aus Dankbarkeit für eine erfüllte und bewahrende Hoffnung die erste Straße „en Paradies“ – die Paradiesgasse, die bis heute den Kirchplatz mit dem Marktplatz verbindet!?!

Hätten wir einen solchen Glauben wie die damaligen Wallonen und Flamen? Wie kann man eine solche Glaubensstärke erreichen, die ich mir auch durchaus für mich selbst wünschen würde?  Von Jakob können wir etwas lernen: Er klammert sich an Gottes Verheißung und beharrt auf seinen Worten: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Gott hat ihm längst seinen Segen versprochen. Auf seiner Flucht nach Haran hatte Jakob in Bethel einen wunderbaren Traum gehabt. Er sah den Himmel offen, die Engel auf einer Leiter auf- und absteigen und vernahm Gottes Stimme: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten allenthalben, wo du hinziehst und dich in dieses Land zurückbringen. Denn ich will dich nicht verlassen, bis dass ich getan, was ich dir verheißen habe.“

wng hanau 2016 9 10 11 004

Unter dieser Verheißung ist der junge Jakob seine fast 800 Kilometer durch die Wüste geflohen. Mit dieser Kraft hat er sich jahrzehntelang in Haran abgeplagt. Im Vertrauen auf sie hat er sich dann auf den Heimweg gemacht. Auf sie beruft er sich in diesem fürchterlichen Kampf mit dem unbekannten Gegner. 

Er umklammert den, der ihn schlägt. Er nimmt Gott beim Wort mit einer Kühnheit, wie sie nur der Glaube aufbringt. Und Gott schleudert ihn nicht von sich, wie man etwa nach einer Wespe oder Fliege schlägt, wenn sie einen nervt. Gott lässt sich von ihm umklammern und segnet ihn schließlich.

Heilige Gottes! Nicht nur Jakob hat Gottes Verheißung empfangen. Auch wir sind schon als Getaufte unter Gottes Gnade gestellt worden. Und jede Taufe, jede Konfirmation, jedes Gemeindegründungsfest will uns daran erinnern, dass alles, was damals, vielleicht am Beginn unseres Lebens uns zugesprochen wurde und wird, auch uns gilt. Wir dürfen diese Verheißung durch unser ganzes Leben und erst recht einmal durch unser Sterben hindurch wie eine Fahne vor uns hertragen. 

wng hanau 2016 9 10 11 008

Wir dürfen uns in allen Prüfungen und Anfechtungen, in allen Kämpfen und Leiden auf sie berufen und erklären: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ An uns alle als Glieder unserer Kirche ist der Zuspruch ergangen: „Fürchte dich nicht, denn ich erlöse dich; ich rufe dich bei deinem Namen, mein bist du!“ 

Und die Fortsetzung lautet: «Wenn du durch Wasser gehst – ich bin mit dir; wenn du dich durch Ströme kämpfst – sie werden dich nicht überfluten. Wenn du durch Feuer schreitest, wirst du nicht brennen und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der Heilige Israels, dein Retter.“ Darauf haben sich unsere Vorfahren verlassen, darauf mögen auch wir uns verlassen und dazu wollen wir kommende Generationen einladen, ihre Hoffnung und Zuversicht zu bauen. 

Alles hängt daran, dass wir Gott auch dann nicht loslassen, wenn Wasserfluten uns zudecken wollen oder wenn wir in die Stürme, die Orkane des Leidens geworfen werden. Wir sollen uns auch dann an ihn klammern, wenn wir ihn nicht mehr verstehen; wenn er sich scheinbar von uns abgewandt hat; wenn es uns weh tut oder uns gar innerlich zerreißt.  

Geschwister im HERRN! In einer Ansprache wurde ich letztens auf ein biografisches Detail aus dem Leben von Thomas Edison aufmerksam gemacht. Eines Tages kam der kleine Thomas nach Hause und gab seiner Mutter einen Brief des Lehrers. Sie las ihn und begann zu weinen, worauf Thomas nachfragte, was denn darin stünde. Seine Mutter las vor, dass Thomas ein Genie wäre. Es gäbe keine ausreichend guten Lehrer an der kleinen Schule, um ihn zu unterrichten. Er solle besser zuhause unterrichtet werden. Und das tat die Mutter auch und förderte diesen atemberaubenden Forscher und Erfinder, der uns nicht nur die Glühbirne schenkte.

wng hanau 2016 9 10 11 009

Jahre später, beim Auflösen des mütterlichen Nachlasses, fand er einen alten, zusammengefalteten Zettel. Er öffnete ihn und las darauf: „Ihr Sohn ist geistig zurückgeblieben! Es hat keinen Sinn, ihn weiter in die Schule zu schicken!“ Weinend schrieb Edison in sein Tagebuch: „Thomas Edison war ein geistig zurückgebliebenes Kind, welches durch seine heroenhafte Mutter das Genie des Jahrhunderts wurde!“ Passend dazu die Jahreslosung: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ 

 „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ Wie die Mutter um ihren Sohn kämpft, so kämpft auch Jakob um seine Zukunft. Ganz gleich, was Menschen über uns oder über unsere Wallonisch-Niederländische Kirche sagen, wir liegen Gott am Herzen und wir vertrauen seinem Segen. 

Und je mehr wir dies tun, auch je mehr wir um die Zukunft unserer Kirche ringen, desto mehr Segen und Wachstum werden wir erfahren. Das neue Gemeindezentrum ist nur die Ouvertüre zu einer fantastischen Zukunft unserer Kirche, die ich vor meinem geistigen Auge bereits sehen kann. Kirchen und Gemeinden um uns herum klagen über Schwund und Niedergang. Wir dürfen uns aber an der Stabilität unseres Palmbaumes erfreuen.

Carissimi! 419 Jahren seit Gemeindegründung kommen wir an dem ersten Juniwochenende zusammen, um Gott für seine Fügung zu danken, unsere Kirche gegründet und bis heute mit seinem Segen begleitet zu haben. Bitten wir ihn auch, dass er in Zukunft gnädig auf das Werk unserer Hände schauen möge: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“

Darauf vertraue ich, davon predige ich und dies bezeuge ich im Namen Jesu Christi.

Torben W. Telder, vdm

Es gilt das gesprochene Wort