„Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ (Psalm 73,28)

Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,
werte Konsistoriale im Apostelamt unserer Kirche,

die Jahreslosung für das Jahr 2014 ist der Einheitsübersetzung entnommen. In der Lutherausgabe heißt es an entsprechender Stelle: „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte“ und in der reformierten Genfer Ausgabe: „Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend!“ 

Bei der Predigtvorbereitung erinnerte ich mich an eine vor Jahren in den Medien dargestellte Werbekampagne von Atheisten, die Busse beklebten mit dem Slogan: „gottlos glücklich!“  Was antworten wir, wenn jemand behauptet, dass man auch ohne Gott glücklich sein kann? Gottlos glücklich – geht das?

Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich würde sagen: Ja, es geht. Man kann auch ohne Gott glücklich sein. Das ist einfach eine Tatsache, die wir Christen zu akzeptieren haben: Es gibt Menschen, die nicht an Gott glauben und die trotzdem glücklich und zufrieden sind. Es bringt weder ihnen noch uns etwas, wenn wir versuchen, diesen Menschen einzureden, dass sie in Wahrheit gar nicht glücklich seien.

Schon vor Jahrtausenden hat das auch ein Autor der Bibel ganz nüchtern feststellen müssen. Der Psalmist verschweigt es nicht. Denn einige Verse vor der Jahreslosung (Psalm 73, 12) lesen wir Folgendes: „Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glücklich in der Welt und werden reich.“ 

Der Psalmbeter selbst glaubt natürlich an Gott, aber es geht ihm schlecht. Er spricht davon, dass er täglich geplagt ist. Oder in einer anderen Übersetzung: „Jetzt habe ich nichts als Sorgen von früh bis spät, jeder Morgen bringt mir neuen Kummer.“ (Psalm 73, 14, Neues Leben)

Der Psalmbeter sieht sein eigenes Elend an, dann schaut er auf die Gottlosen um ihn herum und er stellt fest: Da stimmt doch was nicht! 

Warum geht es denen, die nicht nach Gott fragen, so gut und warum geht es mir so schlecht? Diese leben ihr Leben ohne Gott. Sie fragen nicht danach, was Gott will und wie sie ihr Leben von Gott her führen sollen. 

Ähnlich wie der Beter von Psalm 73 müssen auch wir heute feststellen, dass es durchaus Menschen gibt, die auch ohne Gott glücklich und zufrieden sind. Und umgekehrt stellen wir fest, dass es auch manche Christen gibt, die an ihrem Leben verzweifeln und die trotz ihres Glaubens unglücklich sind. 

Geschwister im HERRN! In Psalm 73 taucht dann die Frage auf: „Was bringt es dann?“
Der Beter fragt in Vers 13: „Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche?“ 

Zu Recht fragt der Beter also: „Also mein lieber Gott, jetzt streng ich mich hier an, ich versuche, ein gutes und gerechtes Leben zu führen und ich versuche, nach deinen Vorstellungen zu leben – und was kommt dabei heraus? Das muss sich doch irgendwie lohnen! Es ist doch ungerecht, dass es mir trotzdem elend geht und die Gottlosen leben fröhlich und sorglos in den Tag hinein!“ 

Schließlich findet der Beter für sich doch noch eine Antwort. Im Heiligtum Gottes, also im Tempel, ist ihm etwas über die Gottlosen klargeworden: Er „merkte auf ihr Ende.“ Das heißt, dass der Beter überzeugt ist, dass sich am Ende doch noch herausstellen wird, dass sich Glaube lohnt.

Irgendwann werden die Gottlosen ein Ende mit Schrecken nehmen und die Gläubigen werden für ihren Glauben belohnt. Wie fremd für uns als Calvinisten diese Aussage ist, bekennen wir doch die Doppelte Prädestination, also dass unverschuldet zur Hölle und unverdient zum Himmel gefahren wird.

Ich befürchte allerdings, dass auch dieses Argument für einen echten Atheisten nicht besonders überzeugend ist. Denn warum sollte er sich über etwas Sorgen machen, von dem er überzeugt ist, dass es sowieso nicht eintrifft? Warum sollte er an Himmel und Hölle glauben, wenn er nicht einmal an die Existenz Gottes glaubt? Lieber jetzt das Leben genießen und auskosten, als vielleicht in einer nebulösen fernen Zukunft einmal für den Glauben belohnt zu werden. Auch dem Beter von Psalm 73 ging es mit seinem Gebet ja nicht darum, Gottlose zu überzeugen, sondern es ging ihm darum, mit seinen eigenen Fragen und Zweifeln zurecht zu kommen.

Mit welchen Argumenten, meine Lieben, können wir dann noch überzeugen? Welche Hinweise gibt es, dass die Bibel wahr ist und dass sie uns tatsächlich etwas über Gott offenbart? Die logische Ebene, auf der wir vielleicht am ehesten argumentieren können, ist für mich die Person Jesu Christi. 

Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass dieser Jesus historisch tatsächlich gelebt hat. Und niemand kann abstreiten, dass in seinem Namen eine weltumspannende Gemeinschaft entstanden ist, dass der Glaube an Jesus das Leben vieler Menschen verändert hat. Um diesen Einfluss zu haben, muss er auf jeden Fall eine außergewöhnliche Person gewesen sein. 

Aber auch mit diesen Überlegungen können wir nichts beweisen. Letztendlich kann niemand von uns die Existenz Gottes zweifelsfrei nachweisen. Auch die am besten durchdachten Gottesbeweise von christlichen Theologen wurden immer wieder in Frage gestellt. Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass wir irdische und endliche Menschen nicht etwas beweisen können, was jenseits unseres Raumes und unserer Zeit liegt. 

Aber der springende Punkt in der Diskussion mit dem Atheismus ist, dass das Gegenteil genau so wenig bewiesen werden kann. Niemand kann beweisen, dass es keinen Gott gibt. Auch der Atheismus ist letztendlich eine nicht beweisbare Glaubenseinstellung. Ich finde es deswegen gut und ehrlich, dass in dem einen Werbeslogan der Atheisten diese Klammer eingefügt wurde: Es gibt – und dann kommt die Klammer – mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit – keinen Gott. 

Auch Atheisten können keine absolut gültige Aussage über die Existenz oder Nichtexistenz Gottes machen. Die atheistische Buskampagne kann aber Menschen provozieren, über Gott und Glauben ins Gespräch zu kommen. 

Und zugleich kann es manche aus ihrer Gleichgültigkeit gegenüber Gott herausfordern und sie neu zum Nachdenken bringen: „Wie stehe eigentlich ich zum Glauben? Was glaube ich?“ Das kann auch für den christlichen Glauben eine Chance sein. Wir sollten ins Gespräch kommen und auch eigene Zweifel zugeben. Und wir sollten unsere eigene Geschichte der christlichen Kirche auch durchaus selbstkritisch sehen.

Im Grunde müssen wir Christen, Heilige Gottes, die härtesten Kritiker von Religion sein. Denn es geht nicht um irgendwelche menschlichen Religionen, sondern um Gott. Es geht nicht um menschliche Institutionen, sondern um ein Verbundensein mit dem Leben und der Liebe in Person. 

Die Grundlage unseres Glaubens sind nicht irgendwelche Traditionen und Dogmen, sondern Gott selbst. Religion ist immer der Versuch, das Göttliche in menschliche Vorstellungen und Regeln zu pressen. Beim Glauben geht es aber um den Versuch, dem lebendigen Gott zu begegnen und auf ihn zu hören.

Wir können Gott nicht beweisen. Wir können nur bezeugen, wenn wir ihn erlebt und erfahren haben. Auch der Beter von Psalm 73 versucht nicht, die Gottlosen zu überzeugen, sondern er bezeugt seinen eigenen Glauben: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ (Psalm 73, 23-26)

Er bezeugt seine eigene Erfahrung mit Gott. Er hat erlebt und erfahren, dass Gott trägt und dass er sein Leben sinnvoll macht. Er bezeugt, dass er trotz allem Elend in Gott mehr Trost erfahren hat als sonst irgendwo. 

Ob das wirklich stimmt und ob dieser Glaube wirklich tragfähig ist, kann man nicht theoretisch herausfinden. Man kann es nur ausprobieren. 

Erst wenn wir uns in das Vertrauen zu Gott fallen lassen, werden wir erfahren, ob Gott uns auffängt und hält. 

Also, werden wir im neuen Jahr erfahren, was uns die Jahreslosung verspricht: „Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend!“? Ich weiß, einige von Ihnen haben sich sicherlich Ziele für 2014 gesetzt. Viele nennen sie auch ihre guten Vorsätze fürs neue Jahr. Ich benutze nicht so gerne das Wort Vorsätze. 

Mir gefällt die Idee, Neujahrs-Ziele zu formulieren, besser, weil dabei der Schwerpunkt darauf liegt, etwas zu erreichen und nicht nur, es zu versuchen.

Auch ich habe Ziele, sowohl persönliche, als auch für unsere Kirche. Wird es ein erfolgreiches Jahr werden, für jeden Einzelnen, für uns gemeinsam, für die Kirche und das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Hanau?

Was sind also Ihre Ziele? Und werden wir sie erreichen, alle – teilweise – keines? Wenn Sie nur die Hälfte Ihrer Ziele erreichen, heißt das: Sie sind ein Versager? Ich glaube nicht. Aber leider tragen wir noch die Benotungssysteme unserer Schulzeit mit uns herum, wo es hieß: Du musst 70% schaffen, um zu bestehen und mit 80% bist du erst gut. Wenn Du 90% oder mehr schaffst, bist du ausgezeichnet. 

Aber so einfach ist das Leben nicht. Wenn Sie im Leben nur ein oder zwei für Sie großartige Dinge schaffen, reicht das völlig. Bei allem anderen können wir versagen und es stört niemanden. Eine armselige Kreatur, die sich am Misserfolg der anderen freut. Der Glaube ist die feste Zuversicht auf das, was wir hoffen, sagt der Apostel. Welche Hoffnungen, welche Träume, welche Sehnsüchte haben Sie? Was würden Sie tun, wenn Sie nicht versagen könnten?

Ich weiß nicht, wie Ihr Leben im kommenden Jahr ausschauen wird, welche Wege Sie einschlagen und welche Entscheidungen Sie treffen werden. Tun Sie es einfach, wagen Sie etwas! 

Und haben Sie den festen Glauben, dass Gott an Ihrer Seite ist, so Sie ihn denn in Ihr Leben eingeladen haben. Ich weiß nicht, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich keinen Glauben an Gott hätte. Weil ich aber an Gott glaube, weiß ich, dass ER mich angenommen hat und mit mir auf dem Lebensweg ist, trotz meiner Ecken und Kanten. ER ist es, der mich von meinen Ängsten befreit und aus den Sackgassen des Lebens zurückruft. 

Meine Lieben, der Glaube an Gott in Jesus Christus ist das Licht meiner Welt, selbst wenn meine Welt im heillosen Durcheinander unterzugehen droht.

Christus ist das lebende Versprechen, dass wir niemals alleine sind. „Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend!“?

Eine solche Nähe wird in uns allen Träume wachrufen, was wir alles tun könnten und können in diesem Jahr 2014, dessen Schwelle wir gerade erst überschritten haben. Der Glaube an ein glückliches Leben schenkt uns doch Träume von einem anderen, besseren Leben. Und die Träume geben uns Begeisterung. Die Begeisterung gibt jedem Einzelnen Kraft für viele Dinge, die uns in diesem Moment unmöglich erscheinen. Christus spricht an anderer Stelle: „Ich bin gekommen, dass  ihr Leben im Überfluss habt.“

Carissimi! Wir waren im vergangenen Jahr mit einigen Jugendlichen in einem Kletterwald. An einer Stelle standen wir auf einer ca. 6 Meter hohen Plattform und mussten uns von dort aus in die Tiefe werfen.

Wir waren gesichert über ein Seil, welches uns über eine Sicherheitswinde langsam nach unten ließ. 

Wir wussten alle, dass es funktioniert und dass eigentlich nichts passieren konnte. Und trotzdem hat es ganz schön Mut gekostet, diesen Sprung zu wagen. Einfacher wäre es gewesen, sich eine Leiter holen zu lassen und die Leiter runter zu gehen.

Auch der Glaube kostet ganz schön Mut. Er ist in manchem vergleichbar mit solch einem Sprung in die Tiefe. Um wirklich zu erfahren, ob der Glaube trägt, muss man springen und vertrauen, dass zumindest Gott einen nicht fallen lässt. Denn „für mich aber ist Gottes Nähe beglückend!“

Darauf hoffe ich, davon predige ich und bezeuge es im Namen Jesu Christi. AMEN!

 Pfarrer Torben W. Telder, vdm
– Es gilt das gesprochene Wort –