Predigttext: Lukas 18, 1-8

Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
vor allem Sie, liebe Konfirmations-Jubilare,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,

in der Universität hat der Professor uns Studenten in einem Seminar über gute Predigten den Ratschlag gegeben, eine Predigt wie eine gute Geschichte, einen guten Krimi aufzubauen. Prediger müssen ihre Zuhörer am Anfang so begeistern, neugierig machen, ohne schon den Clou der Predigt zu verraten. Wie in einem Krimi sollten Prediger so spannend und geheimnisvoll beginnen, dass die ganze Gemeinde nur darauf brennt, endlich zu erfahren, worauf die ganze Predigt abzielt.

Der Professor wollte uns Studenten also nichts anderes sagen, als dass es ein Fehler ist, in den ersten zwei, drei Minuten schon alles zu verraten, denn dann ist die Luft raus und die Zuhörer sind auch nicht mehr motiviert, die kommenden 20 oder 30 Minuten zuzuhören. Das Wesentliche ist ja bereits gesagt, also beginnen Einzelne, ihre Armbanduhr im Auge zu behalten, wann denn der Pfarrer endlich fertig ist.

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Ihnen als Jubeljubilaren gilt heute besonders diese Predigt. Manche von Ihnen sehe ich öfters unter meiner Kanzel, manche – naja, reden wir nicht darüber. Aber es ist schön, dass Sie heute Morgen hierhergekommen sind. Und ich hoffe, dass dies nicht (wieder) für lange Zeit das letzte Mal gewesen sein wird. Warum das so ist, ahne ich: Vielleicht interessiert Sie die biblische Botschaft einfach nicht!

Vielleicht haben Sie Besseres zu tun, als eine Stunde am Sonntag in Gott zu investieren! Vielleicht können Sie es körperlich einfach nicht mehr! Warum auch immer: Jetzt ist der Moment, in dem Sie sich und wir alle uns überraschen lassen dürfen, von Gottes Wort an uns – als eine geistliche Nahrung, die uns satt machen möchte – aber ich will noch nicht zu viel verraten.

Wenn ich in das Neue Testament schaue, dann stelle ich fest, dass auch die vier Evangelisten, und damit Jesus selbst, scheinbar den Ratschlag meines Predigt-Professors beherzigt haben. Viele der Gleichnisse, die Jesus erzählt, zwingen die Menschen zum Zuhören, um zu erfahren, worauf die Geschichte abzielt. Erst mit dem Schlusssatz wird klar: „Ach, das ist der Clou! Das will ER mir sagen!“

Aber nicht immer geht es nach diesem Schema. Der heutige Predigttext, über den Sie sich vielleicht wundern, weshalb ich ihn für einen solchen Gottesdienst herausgesucht habe, beginnt gleich mit dem Clou: „Jesus wollte seinen Jüngern zeigen, dass sie unablässig beten sollten, ohne sich entmutigen zu lassen. Deshalb erzählte er ihnen folgendes Gleichnis.”  Damit ist klar, worauf Jesus hinaus will. Fast so, als würde auf der ersten Seite eines Krimis stehen: „Und wahrscheinlich werden wir am Ende feststellen müssen, dass es der Gärtner war, der die Millionärsgattin mit einer Schaufel erschlagen hat.“ Würden Sie dann den Krimi noch lesen?

wng_04_2011_004_600Meine Lieben, vielleicht ist es doch nicht so offensichtlich. Und vielleicht geht es bei dem heutigen Predigttext nur bei erstem Hinsehen um die Unablässigkeit des Gebets trotz Rückschlägen. Schauen wir genauer hin: das Erste, was auffallen kann, ist: Der Richter, der später mit Gott gleich gesetzt wird, ist kein netter Zeitgenosse. Dieser Richter ist selbstverliebt, glaubt nicht an Gott und sorgt sich nicht sehr um seine Mitmenschen. Hauptsache, seine Ruhe wird gewahrt.

Die Sympathieträgerin ist eindeutig die Witwe, die nach gutem jüdischen Recht um ihr Recht kämpft. Worum es geht, wissen wir nicht. Der Richter möchte damit nichts zu tun haben. Aber die Witwe gibt nicht auf und sie nutzt ihre letzte Chance: Sie wird auffällig, sie schafft Öffentlichkeit. Diese Möglichkeit wird auch heutzutage noch manches Mal als letzter Ausweg gesehen. Vor der Öffentlichkeit hat der Richter Angst. Er befürchtet, dass sein Name – heute würde man es so nennen –  auf einmal auf der Titelseite der Bild-Zeitung steht.

wng_04_2011_003_600Mancher Ausleger vermutet, dass die Witwe begonnen haben könnte, dem Richter überall aufzulauern: wenn er vom Markt mit seinen Einkäufen kommt, wenn er eine Therme erholt und gewaschen verlässt. Dass sie ihn verfolgt, wenn er in einer Taverne essen geht. Sie schafft es also, ihn dort zu treffen, wo es ihm am meisten weh tut: bei seiner öffentlichen Reputation, seinem Ansehen. Und so gibt er klein bei und verschafft ihr Recht. Dazu stellt Jesus nüchtern fest: „Der Herr fuhr fort: »Habt ihr darauf geachtet, was dieser Richter sagt, dem es überhaupt nicht um Gerechtigkeit geht?«“ (Vers 6)

Jetzt beginnt die Geschichte spannend zu werden, denn es scheint doch, als ob Jesus diesen Richter mit Gott zu vergleichen beginnt, der viel schneller und besser die Gerechtigkeit vertreten wird. Das sollte uns stutzig machen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott Angst hat, bei uns Menschen sein Ansehen zu verlieren. Ist Gott nicht genau das Gegenteil zu der Person des Richters? Ist dieses Mal doch nicht der Gärtner der Mörder?

Das Gleichnis endet überraschend mit einem Satz, der so gar nicht zu der Geschichte passt: „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde [solch einen] Glauben finden?“ (Vers 8) Auf einmal dreht sich diese Geschichte um uns. Auf einmal brauchen wir nicht mehr über den Richter nachzudenken, sondern wir werden gefragt, wie wir es mit unserem Glauben halten und ob, wenn Christus wiederkommen wird, wir als solche erkannt werden, die glauben.

Heilige Gottes! Ist diese Frage nicht die beste Frage, die man sich bei einem Gottesdienst zum Konfirmationsjubiläum stellen kann. Seitdem ich an diese Kirche berufen wurde, habe ich es eingeführt, dass Sie als Jubilare in aller Stille Ihr „Ja“ zu Gott bekräftigen.

Und zwar weil jedes Ihrer „Ja‘s“ anders und einmalig sein wird. Unterschiedliche Lebenswege liegen hinter Ihnen – dem einen wird ein solches „Ja“ leicht fallen, der andere wird es vielleicht gar nicht sagen können, weil er Gott in ihrem Leben nicht spürt und erlebt.

Das heutige Evangelium fragt uns alle: „Hast Du Glauben genug, egal was kommt und passiert? Vergiss den Richter, schau auf Dich selbst!“ Es geht um Glaube, um Vertrauen, um die Vision unseres Lebens, die so oft im Nebel lag oder liegt. Es ist die Frage, ob wir Durchhaltevermögen haben oder uns von einer Niederlage zur nächsten schleppen.

„Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde [solch einen] Glauben finden?“ Schauen Sie sich um und blicken Sie auf die vielen leeren Sitze. Über 300 Personen passen hier herein. Ich darf Ihnen gratulieren und danken, dass Sie heute hierhergekommen sind.

Und ich danke auch dem Chor, dass er singt und dem Konsistorium, dass es Dienst tut. Und doch schmerzt es, wie wenig Interesse besteht und wie oft die Kirche leer bleibt. Als Sie damals konfirmiert wurden, da waren Sie mehr – manche mögen schon verstorben sein, aber einige haben uns einfach den Rücken gekehrt und haben kein Interesse mehr.

Eine Umfrage in ganz Europa hat ein erschreckendes Ergebnis zu Tage gebracht: es mag kleine Oasen kirchlichen Lebens geben, aber die Mehrheit geht nicht mehr in die Kirche. Dafür gibt es viele Gründe. Aber interessanterweise war ein Grund, dass viele Europäer Gebete für überflüssig und sinnlos halten.

Es scheint, dass als die Menschen ihren Glauben an das Gebet und die Gebeterhörung verloren haben, der ganze Glaube zusammengefallen ist. Und dann wäre – zugegebenermaßen – der Besuch eines Gottesdienstes so, als wenn ein Vegetarier in ein Steakhaus zum Abendessen ginge.

wng_04_2011_006_600Davor möchte uns der heutige Predigttext warnen. Es geht nicht darum, warum es Gott regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. Es geht nicht darum, warum unser Leben in diese oder eine andere Richtung geht, wir das eine Mal Gott spüren, das andere Mal nicht. Es gibt Gebete, die erhört werden und manche eben nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten – das heißt aber nicht, dass sie unbeantwortet bleiben.

Es geht nicht darum, wie wir uns Gott vorstellen sollen – dafür gibt es gut bezahlte Theologen, die alle an ihren Jobs hängen und dann und wann die wildesten Phantasien in die Welt posaunen – nicht immer zur Stärkung des Glaubens, oftmals gerade zum Gegenteil.

Meine Lieben! Heute werden wir gefragt, ob – wenn Christus wiederkommt – wir damit rechnen. Heute geht an uns der Ruf, ob wir es Gott zutrauen, etwas aus unserem Leben zu machen und ob wir dankbar für das Gewesene sind. Heute werden nicht nur Sie als Jubelkonfirmanden gefragt, wie ernst und treu Sie es mit Ihrem Glauben halten – wir alle werden gefragt!

Die Witwe in dem Gleichnis hat nichts zu verlieren, vielleicht macht sie sich sogar lächerlich, aber sie bekommt ihr Recht. Im 21. Jahrhundert schütteln nicht wenige den Kopf, wenn Christen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen den Kopf neigen und beten. Dazu möchte uns aber Lukas ermutigen. Das ist der Clou der Geschichte und da Sie bis zum Ende zugehört haben, haben Sie das auch hoffentlich verstanden: Im Gebet steckt Kraft, wenn wir Gott zutrauen, dass er sie verwandeln kann.

wng_04_2011_007_600Liebe Jubelkonfirmanden! Nach Jahren sind Sie wieder in diesen Heiligen Tempel unseres Glaubens eingezogen. Die Zeiten haben sich geändert, aber Gottes Wort ist ein und dasselbe. Es ist zeitlos.

Sie haben Pfarrer kommen und gehen gesehen. Die einen mochten und schätzten Sie, über andere haben Sie sich vielleicht geärgert. Pfarrer haben eben Ecken und Kanten, die einen mehr, die anderen weniger, wenn sie versuchen „Everybody‘s-Darling“ zu sein. Ob es aber gut ist, es allem und allen Recht zu machen, wage ich zu bezweifeln. Das Wort Gottes muss Anstoß erregen! Das ist so, und das wird auch immer so bleiben.

Auch diese Kirche hat sich verändert, Dinge sind nicht mehr so wie früher, aber Sie sind heute ja auch nicht in Ihrem damaligen Anzug oder Kleid hierhergekommen. Die Welt dreht sich und so lange dies sein wird, darf auch in der Kirche kein Stillstand sein.

So schön es ist, an die alten Zeiten zu denken: Sie sind vergangen, bleiben aber in den Herzen lebendig. Unser aller Leben findet im „Jetzt“ statt und jeder Augenblick ist der Neubeginn vom Rest unseres Lebens. Dazu „Ja“ zu sagen ist Teil unseres reformierten Glaubens. Nichts Irdisches und Menschliches ist für die Ewigkeit.

Das mussten viele wohl in ihrem Leben schon erfahren, manchmal unter Schmerzen und manchmal mit Freude. Freuen wir uns auf den Rest unseres Lebens. Beten wir und glauben wir, auch für unsere Wallonisch-Niederländische Kirche, die – so Gott will und wir alle tatkräftig mit anpacken – eine fantastische Zukunft haben wird.

Daran glaube ich, davon predige ich und bezeuge dies im Namen Jesu Christi. AMEN!

Torben W. Telder, vdm
Es gilt das gesprochene Wort.