Liebe Gemeinde,
besonders natürlich Sie,
lieber Herr Keller und alle Johanniter,
Gäste im Tempel unseres Glaubens,
als ich mich auf diesen Gottesdienst vorbereitete und nach einem passenden Bibeltext suchte, wurde ich von zwei Fragen geleitet: soll es um Leitung und Aufgabenverteilung gehen oder soll es ein Erinnern an die Nächstenliebe sein, die der Ursprung der johannitischen Bewegung im diakonischen Bereich bildet. Ich habe mich für letzteres entschieden, und ein Gleichnis Jesu ausgesucht, welches wir alle wohl kennen und auch die Aufgabenverteilung berührt, aber hören wir es zunächst selbst, es braucht ja gar nicht viel Erläuterung:
Im Lukasevangelium 10. Kapitel, heißt es: Die Frage nach dem ewigen Leben. Der barmherzige Samariter
25 Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? 26 Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?
27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« 28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. 29 Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
30 Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. 31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. 32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; 34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.
36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war? 37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Meine Lieben! Noch Fragen? Eigentlich doch erstmal keine. Eine so wunderbar klare Geschichte, wohltuend genau darin, wohltuend selbsterklärend. Und allseits bekannt, nicht wahr? Der barmherzige Samariter, sprichwörtlich kollektives Gedankengut. Barmherziger Samariter sagen reicht, und schon weiß jeder Bescheid. Oder doch nicht?
Sie sind ja heute die Johanniter hier in dieser Kirche und nicht der Arbeiter-Samariter-Bund – wobei die Aufgaben sich ja ähneln. Sie sind aber auch Insider, Teil einer religiösen Blase vielleicht, die wir außerhalb nicht mehr als selbstverständlich ansehen können. Wir können inzwischen ahnen, was es für eine Gesellschaft bedeuten könnte, wenn sie ihren Kanon an verbindenden Geschichten verliert, wenn sie Malteser, Johanniter und Samariter nicht mehr auseinanderhalten kann und am Endeder barmherzige Malteser eher im Spirituosen-Regal vermutet wird.
Früher konnte man sich noch darauf verlassen, dass jeder mindestens drei biblische Geschichten in- und auswendig konnte: der verlorene Sohn, die Geschichte von der Ehebrecherin mit dem markanten „wer unter Euch ohne Sünde, werfe den ersten Stein“ und der barmherzige Samariter.
Mancher sagt, dass eine christliche Dogmatik in der Regel nicht mehr als diese drei Geschichten braucht: Annehmen, Zuhören und Vergeben. Barmherzig sein. Eigentlich doch auch Schlaglichter über johannitisches Arbeiten: Den Menschen so zur Seite zu stehen, wie sie eben gerade sind, ohne Ansehen der Person, nur den reinen Menschen im Blick. Menschen aufzurichten und wieder auf die Lebensspur zu bringen – ich denke da nur an das wichtige Angebot, Lacrima für trauernde Kinder, die doch auch wieder lachen sollen. Und schließlich barmherzig sein – Menschen am Rand Aufmerksamkeit zukommenlassen und sie nicht links liegen lassen.
Deshalb brauchen wir solche Erzählungen, Glaube und Religion leben darin, kann sich vermutlich gar nicht anders ausdrücken. Und es tut sicherlich gut, an Tagen einer eigentlich rein formalen Einführung in ein Amt sich der Basis zu erinnern, auf dem unser aller diakonisches Tun ruht.
Und ich möchte mich als Pfarrer da auch gar nicht ausnehmen. Das Auseinanderleben von professioneller Diakonie – und darunter möchte ich auch einmal die Johanniter fassen – und der Kirche, haben vor allem die Kirchen zugelassen, vielleicht als wir aufgehört haben, im Rettungswagen, am Krankenbett, in den ambulanten Diensten (um nur einige Aufgabenfelder der Unfallhilfe zu nennen), von Bildern für elementare Erfahrungen zu sprechen, die uns unbedingt angehen.
Unbedingt an geht uns: Wer wir sind, worauf wir vertrauen, was wir hoffen. Das kann man als erstes und am besten erzählen, in all seinen Facetten, mit Fragen und Zweifeln, aber auch Hoffnung und Zuversicht, wie es uns eben die Geschichte vom Barmherzigen Samariter vormacht.
Und gerade der Verfasser Lukas, der große Vermittler und Versöhner unter den Evangelisten, passt auch zum heutigen Tag, schreibt ihm doch die Altkirchliche Tradition zu, als Arzt im pflegenden Beruf tätig gewesen zu sein.
Und der Evangelist geht sogar in seinem Gleichnis noch einen Schritt weiter: Es geht nicht nur um einen Samariter, sondern auch um einen Wirt und dass da klug vorausgedacht wird, dass im Grunde unternehmerische Diakonie schon vorgedacht und angelegt ist – hier das Geld und der Wirt und die Vorsorge und die Nachhaltigkeit – ich komme wieder und sehe nach, ob es gereicht hat.
Sie, lieber Herr Keller, als Hauptamtlicher sind genau dort zu finden zwischen den Zeilen: wie muss sich die Unfallhilfe vor Ort aufstellen, welche Angebote und Projekte sind JETZT an der Zeit und vor allem: wie steht es um die Finanzen. Kein Wunder also, dass diese Geschichte zu einem Tag wie heute passt. Es geht eben schon im Anfang um eine Barmherzigkeit, die nicht die Totalüberforderung des Einzelnen in Kauf nimmt, sondern die das Netzwerk, die Organisation von Nächstenliebe kennt.
Die nächste Frage, die uns der heutige Bibeltext stellt, ist nicht weit weg und ist im Grunde die drängende Frage allen Helfens: Wie bekämpfen wir die Ursachen des Leids? Wie kriegen wir diese Straße zwischen Jericho und Jerusalem endlich sicher?
Während man den Wirt in der Geschichte betrachtet, stellen sich diese Fragen ein. Sie werden nicht kleiner, wenn man z. B. die Kältehilfe für Obdachlose oder die Versorgung von Flüchtlingen betrachtet – weil all diese Nächsten einfach vor der Tür standen. Und schon lassen sich alle Fragen der Barmherzigkeit durchbuchstabieren.
Ein „Nicht Handeln“ ist keine Antwort, wenn ein Mensch unter die Räuber fällt oder ein Volk unter die Aggression mitten in Europa. Keine Antwort? Als Pfarrer greife ich dann zur Bibel und befrage die Texte. Glaube ist im Kern Fragen und Suchen. Was gibt dem Leben Sinn? „Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe“ – so beginnt das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Meister. Wörtlich steht da im griechischen Urtext didaskalos, das heißt nichts anderes als Lehrer. Rabbi. Wir sind also mit dem Barmherzigen Samariter Lernende für unseren Glauben und unser Handeln.
Was muss ich also tun, damit mein Leben erfüllt ist, Ewigkeit in sich frei setzt. Und die Antwort ist simpel und manchmal doch unendlich schwer: Lieben ist die Antwort: Gott. Dich selbst. Den Nächsten.
Wie das mit der Liebe zu Gott ist, liebe Gemeinde und lieber Herr Keller, das müssen Sie mit Gott selbst ausmachen. Dass wir aber einen Gottesdienst zur Einführung feiern, kann ja schon einmal ein gutes Zeichen sein. Liebe zu uns selbst: das wünsche ich uns allen und weiß doch auch um Menschen, die hier Probleme haben, die dann hoffentlich in einer Depressions- oder Suizid-Selbsthilfegruppe getragen werden.
Und als drittes den Nächsten. Dafür möchte ich heute Ihnen allen, die Sie in der Johanniter Unfallhilfe aktiv sind, Danke sagen. Dass Sie dort einspringen und auch einplanbar und verläßlich sind, wo die Gemeinden es selbst nicht mehr tun können.
Das klingt für manche Ohren nun vielleicht etwas zu missionarisch. Keine Angst: Mir ist bewusst, dass in Ihrem Arbeitsvertrag kein Missions- und Verkündigungsauftrag steht. Und doch hat Ihr Tun eine Mission und kann Ihre Haltung auf andere ausstrahlen.
Weil, davon erzählt ja die Geschichte vom barmherzigen Samariter, weil mit einem Mal das, was mich unbedingt angeht, der, der mein Nächster ist, vor meinen Füßen liegt, ungefragt. unmittelbar!
Passend dazu fand ich übrigens auf der Homepage der Johanniter folgenden Auszug aus der Ordensregel: „Der Johanniter lässt sich rufen, wo die Not des Nächsten auf seine tätige Liebe und der Unglaube der Angefochtenen auf das Zeugnis seines Glaubens warten.“
Dieser Satz erinnert mich an eine Aussage des Altbundespräsidenten Joachim Gauck, die er hier während seinen Besuches vor zwei Jahren zum 425jährigen Jubiläum und auch an anderer Stelle immer wieder wiederholt hat. Er hätte Sorge vor einer Gesellschaft, in der die Kirche und mit ihr die Geschichten, für die sie steht, verloren gingen.
Dies ging natürlich zuallerst an uns Kirchen, aber auch an jede Institution, die dem christlichen Glauben verbunden ist. In der Johanniter Unfallhilfe übernehmen Sie, lieber Herr Keller, nun Verantwortung. Sie tun dies nicht allein, aber jeder an seinem Platz ist wichtig.
Ich wünsche Ihnen für Ihr Wirken Gottes reichen Segen, viele Erfolge, in Wüstenzeiten Durchhaltekraft und vor allem, dass Gott, der Sie sendet, wie wir alle als Christen Gesandte sind, Ihnen die Kraft gibt, das Begonnene auch zu vollbringen.
„Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!“
AMEN!
- Es gilt das gesprochene Wort! -