Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,

die närrischen Tage liegen wieder vor uns. Überall herrscht wieder ausgelassene, bunte, feucht-fröhliche Stimmung. Das ganze Fernsehprogramm scheint nur noch ein Thema zu kennen und auch die Zeitungen zeigen das bunte Treiben. Es wird geschunkelt und getanzt.

Um Tanzen geht es auch im heutigen Predigttext. Da kommt zusammen, was ansonsten scheinbar in der Bibel nicht zusammen passt: ein lauter Umzug mit Musikkapelle; ein ausgelassener, freizügiger König; eine ironische Frau; scheinbar ein respektloser Umgang mit heiligem Gerät. Karnevalsstimmung also auch in der Bibel, die uns eher nüchterne Calvinisten ansteckt?

Deshalb, Geschwister im HERRN, meine Frage an Sie: Haben Sie heute Morgen auf dem Weg in diese Kirche getanzt? Ich meine, waren Sie so glücklich und froh, dass Sie sich nicht mehr halten konnten, und vor Glück tanzten, sangen und die ganze Welt umarmten?

wng hanau 2018 03 04 05 40

Sie schütteln etwas irritiert den Kopf. „Was soll diese komische Frage?“, fragen Sie sich wahrscheinlich. „Wieso sollte ich auf dem Weg in die Kirche tanzen? Also erstens hatte ich keinen Grund dazu, zweitens tanzt man auf dem Weg in die Kirche nicht und drittens bin ich eh nicht so der Tanztyp.“

Lassen Sie mich eine andere Frage stellen: Wann waren Sie in Ihrem Leben letztmals so glücklich, dass Sie am liebsten gesungen, getanzt und die ganze Welt umarmt hätten? War das kürzlich? Ist es schon lange her? Ist Ihnen das in Ihrem Leben noch nie passiert? Wünschen Sie sich, dass Sie wieder einmal von Glücksgefühlen völlig überwältigt werden? 

Solche Momente des unbegrenzten Glücks sind wohl im Leben der meisten von uns seltene Augenblicke und darum umso wertvollere Momente. Sind jüngere Menschen beim Erleben solchen Glücks vielleicht bevorzugt? Zumindest gehen einige von unseren Konfirmanden ja in die Tanzschule. Und ich habe mir sagen lassen, dass es auch manche Erwachsene unter uns tun: Tanzen, um den Alltag vielleicht für einen Moment vergessen zu können. 

Warum erzähle ich Ihnen das alles, meine Lieben? Mir scheint, wir sitzen im Moment ziemlich ruhig hier in diesem Gottesdienst. Losgetanzt ist bisher noch niemand. Gesungen haben wir allerdings bereits. Aus vollem Herzen? Na ja, die einen vielleicht etwas mehr, die anderen weniger. Und doch hätten wir allen Grund, an dieser Stätte vor Freude und Dankbarkeit zu tanzen.

Viele Menschen erlebten und erleben in diesem Kirchraum den schönsten Augenblick ihres Lebens, wenn sie sich als Paar ihr Ja-Wort geben und fürderhin zusammengehören. Wahrscheinlich tanzen sie dabei noch nicht – das kommt später am Tag. 

Die Menschen treffen sich hier in dieser schönen Kirche von Freude und Dankbarkeit erfüllt, wenn sie ein Kind zur Taufe bringen und damit das kleine Geschöpf dem liebenden Gott anvertrauen.  Sie wissen, dass das Kind einen Beschützer und Begleiter braucht, der ihre eigenen Möglichkeiten übersteigt.

wng hanau 2018 03 04 05 44

Als Konfirmanden erleben junge Menschen im Daheim dieser Kirche den Übergang ins Erwachsenenleben. Vielleicht wagen sie dabei, mag´s auch noch etwas zaghaft sein, ein „Ja“ zum Angebot Gottes, sie in ihrem Leben zu begleiten.

Menschen klagen aber auch in unserer Kirche Gott ihr Leid, weil ein lieber Mensch von ihnen gegangen ist. Sie erhoffen sich hier Zuspruch, Trost und die Erfahrung von Geborgenheit inmitten aufgewühlter Lebenswasser.

Meine Lieben! Blicken wir auf König David im heutigen Predigttext, der vor der Bundeslade tanzt. Es waren nicht Fasching und auch nicht seine Begeisterung über einen Kirchenbau, die ihn zum Tanzen animierten. Denn einen solchen gab es zu seiner Zeit noch gar nicht. Den ersten Tempel Israels hat erst sein Sohn, König Salomon, gebaut. 

Für den alten Glauben Israels war immer bezeichnend, dass Gottes Gegenwart sich nicht auf einen besonderen, für heilig erklärten Ort konzentrierte oder Gott sich in einem heiligen Gegenstand  anbeten ließ. Wir erinnern uns diesbezüglich an die altbekannte Geschichte von Gottes Zorn über Israels Tanz um das goldene Kalb.

Der Gott Israels war immer ein mit-gehender Gott. Er begleitete Abraham aus dem Zweistromland nach Israel. Er begleitete Josef nach und in Ägypten. Er begleitete Mose und seine Schar durch das Rote Meer und durch die Wüste Sinai. Er führte Josua ins Gelobte Land. Und er begleitete das Volk bei der Eroberung und Verteidigung des Landes Palästina.

wng hanau 2018 03 04 05 43

Israel hatte ein Symbol für diese mit-gehende Gegenwart Gottes, für den Bund Gottes mit seinem Volk: die Bundeslade. Die Bundeslade war nichts anderes als eine Kiste, in der zwei Tafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden. Diese Bundeslade wurde stets mitgeführt, beim Zug durch die Wüste ebenso wie beim Einzug in das versprochene Land und bei dessen Eroberung. 

Man konstruierte für die Bundeslade ein transportables Zelt, die Stiftshütte. Darin wurde der Schrein aufbewahrt. Gelegentlich musste man die Lade auch verteidigen oder gar zurückerobern, nachdem sie von einem Feind verschleppt worden war.

Mit der Zeit fiel die Bundeslade aber in Vergessenheit und während der Regierungszeit von König Saul erinnerte man sich kaum noch an sie. Für seinen Nachfolger, den jungen König David, aber war die Lade  ein Symbol der Nähe Gottes, ein Symbol des mit-gehenden Gottes. David war klar, dass die Anwesenheit der Bundeslade in seiner neuen Hauptstadt Jerusalem für die Öffentlichkeit ein wichtiges Zeichen setzen würde: Gott ist mit David und mit dem ihm ergebenen Volk. Und so wurde der Schrein von David in zwei Anläufen – mit einer monatelangen Zwischenlagerung auf einem Bauernhof – in einem festlichen Umzug nach Jerusalem gebracht und dort in ein neu erbautes Zelt gestellt.

Und jetzt kommt eben die Geschichte vom tanzenden König David. Er war so unendlich glücklich, dass der Predigttext vermerkt: „David tanzte voller Hingabe vor dem Herrn.  Er war umgürtet mit einem Priesterschurz aus Leinen. 

Und so brachten David und ganz Israel die Lade des Herrn hinauf unter Jubel  und unter Hörnerklang.“

Schon damals war aber so hemmungslos gezeigte Freude in der Öffentlichkeit nicht ohne Probleme. Und schon gar nicht für einen König, nur in einen Priesterschurz gekleidet, der beim Tanzen tiefe Einblicke gewähren konnte. Michal, die Tochter des ehemaligen Königs Saul, ging deshalb zu David und kritisierte ihn ironisch: „Wie würdevoll hat sich heute der König von Israel doch benommen!  Er hat sich vor den Augen von Knechten und Mägden  entblößt – wie peinlich.“ David antwortete ihr knapp: „Vor Gott will ich tanzen, … vor dem Herrn,  und will mich künftig noch mehr erniedrigen als dieses Mal.“

Gottes Gegenwart also, Geschwister im HERRN, brachte den König David zum ausgelassenen Tanzen und das ohne Rücksicht auf seinen Ruf, auf seine Würde und auf königliche Sitten. Für David ging es einzig um den Einzug der Bundeslade in Jerusalem, Symbol der Gegenwart Gottes in dieser Stadt und unter deren Menschen; Symbol eines Gottes, der sich nicht darauf beschränkt, bloß an einem heiligen Ort anwesend zu sein. 

Könnte uns diese Freude anstecken? Eine Kirche ist in evangelischem Verständnis ja auch nicht der Wohnsitz oder ein Amtssitz Gottes, sondern ein Ort, wo Gottes Gegenwart besonders deutlich erlebt wird. Gott kann deshalb natürlich nicht nur in einem Kirchengebäude oder nur im Gottesdienst erlebt werden. Gott ist ein mit-gehender Gott, der mitten im Alltag neben uns geht und auch gottesdienstlich überall angerufen werden kann.

Ich möchte Sie alle deshalb heute Morgen auffordern, viel mehr das „Tanzbein des Glaubens“ zu schwingen. Natürlich sind Kirchen Orte, an denen Gottes Gegenwart besonders deutlich erlebt wird, an denen wir zum Glauben ermutigt werden und unseren Glauben leben. Aber alle diese Dinge können auch außerhalb unserer Kirchenmauern geschehen. 

Wir wissen, dass unser Gott sich nicht in einem Haus einschließen lässt, sondern mitten in unserem Alltagsleben mit uns unterwegs ist. Selbst für den Gottesdienst gilt, dass die Gegenwart Gottes, die Gegenwart des auferstandenen Christus, überall da ist, „wo zwei oder drei  in meinem Namen versammelt sind“. So haben wir es eben im Matthäusevangelium (Matth. 18,20) gehört. Ob diese zwei oder drei sich in einer Kirche versammeln oder in einem Wohnzimmer, ist völlig gleichwertig.

„Wo zwei oder drei  in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“,  hat uns Jesus Christus versprochen (Matth. 18,20). Das ist ein wundervolles und Mut machendes Angebot, das zu jeder Zeit und an jedem Ort gilt. Es ist eine Verheißung, die wir für unser Leben als Christen und als christliche Gemeinde jederzeit und allerorts fröhlich in Anspruch nehmen dürfen.

Und vielleicht werden wir von dieser Zusage eines Tages so ergriffen sein, dass auch wir hier in diesem altehrwürdigen Gebäude einmal vor Freude des Glaubens tanzen werden. Zugegeben: Ich kann es mir nur schwer vorstellen, aber wieso nicht. So vieles ist schon geschehen, von dem wir nie gedacht hätten, dass es passieren würde. 

Und David sprach zu Michal: „Ich will vor dem HERRN tanzen, der mich erwählt hat …“ (Vers 21). Erhalten auch wir uns den Glauben und die Fröhlichkeit, dass auch wir zu den Erwählten Gottes gehören. 

Daran glaube ich, davon predige ich und bezeuge es im Namen Jesu Christi. AMEN! 


Torben W. Telder, vdm

Es gilt das gesprochene Wort