Vor dem Hintergrund der Banken- und Wirtschaftskrise bekommen die Vorstellungen von Johannes Calvin zur Wirtschaftsethik eine ganz besondere Brisanz. Aber auch der Umgang mit Fremden und die Würde des Menschen haben bei ihm einen hohen Stellenwert.

wng_p_02„Das Wort Gottes muss unser Leben erneuern“, hat Calvin erkannt und lebte danach. Es war ihm wichtig, den „Schritt von der Erkenntnis Gottes zur Lebenswirklichkeit des Menschen“ (Matthias Freudenberg) zu gehen. Dabei ist das menschliche Handeln immer die Antwort auf Gottes Vorsehung, auf sein Versprechen, mit seiner „lebensschaffenden Kraft“ für uns zu sorgen.

 

Die Wirtschaft muss den Menschen dienen

Was den Umgang mit Geld und Besitz angeht, dachte Calvin ganz nüchtern. Heute würde man sagen, dass er für eine Regulierung des Finanzmarktes plädierte: In der Bibel findet er zwar kein prinzipielles Zinsverbot, aber ein Verbot von Wucherzinsen. Der Staat solle also die Zinshöhe festlegen, z.B. auf 6% (für damalige Verhältnisse ein sehr niedriger Satz). Von Armen solle überhaupt kein Zins genommen werden.

Die Wirtschaft wollte Calvin zum Wohlergehen aller gerne fördern – zum Beispiel durch Kredite an Kleinunternehmer und Kaufleute, die zum Teil mittelllos als Flüchtlinge nach Genf gekommen waren.

Reichtum ist eine Verpflichtung

Reichtum ist für Calvin eine Gabe Gottes, die genossen werden darf. In Dankbarkeit und aus freiwilligem Antrieb sollen die Reichen dann aber den Armen Gutes tun, anstatt Kapital anzuhäufen. Jeder sollte „eher seinen Bissen teilen als zu dulden, dass andere Mangel leiden, während man im Überfluss lebt“.

Calvin setzte aber nicht nur auf die freiwilligen Gaben der Wohlhabenden. Er hielt auch eine Reform des Armenwesens für nötig. Anstatt Bettlern Almosen zu geben, sollten die Armen über die Spitäler (Armen- und Waisenhäuser) versorgt und ihren Kindern schulgeldfreier Unterricht erteilt werden.

 

Wenn Menschen zu Marmor werden

Übermäßigen Luxus und Verschwendungssucht tadelte Calvin, ja sah sie als Gefahr, den Menschen von Gott zu entfremden: „Wo bleibt die Erkenntnis Gottes, wenn unser Herz an die Großartigkeit unserer Kleider gefesselt ist? Viele Leute geben ja alle ihre Sinne dem Genuss dermaßen hin, dass ihr Herz davon erdrückt zu Boden liegt. Viele haben an Marmor oder Gold oder Gemälden solches Vergnügen, dass sie gleichsam selber zu Marmor werden.“ (Institutio III 10, 3)

 

Der Umgang mit Fremden

Calvin hatte selbst als Franzose in der Schweiz Zuflucht gefunden. Die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich hatten innerhalb weniger Jahre die Zahl der Einwohner Genfs verdoppelt. In dieser Situation predigte Calvin: „Daher müssen wir zusammen leben in einer Familie von Brüdern und Schwestern, welche Christus mit seinem Blut begründet hat. Und mit jeder Feindschaft [,die uns entgegentritt,] gibt er uns die Gelegenheit, damit der Feindschaft zu widerstehen.“ (zitiert nach E. Busch)

 

Auch ohne Gesetze Gutes tun

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Gottes Gesetz fordert uns Menschen mehr ab als nur die Einhaltung der staatlichen Gesetze. Calvin nennt das die „selbst auferlegte Billigkeit“, dass man sich in allen Situationen so verhält, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Zum Beispiel hielt er die Arbeitgeber in Genf an, ihre Angestellten menschlich zu behandeln und nicht um ihren Lohn zu betrügen – auch wenn es zur damaligen Zeit noch kein Arbeitsschutzgesetz gab. „Wenn also einer einen andern in seinem Dienste zu stehen hat, so soll er sich fragen: Wenn ich an seiner Stelle stünde, wie wollte ich behandelt werden? Ich wollte doch, dass man mich ertrüge, wie ich bin.“ (Predigt zu 5. Mose 15, 11-15, 30. Oktober 1555)

 

Gott will Gleichheit zwischen den Menschen

„Gott will, dass ein Verhältnis und eine Gleichheit zwischen uns besteht, d. h. dass jeder mit dem Nötigen zu versorgen ist entsprechend dem Umfang seiner Mittel, so dass niemand zu viel und niemand zu wenig hat.“

 

Jede Gelegenheit zur Wohltat ergreifen

In Predigten wandte sich Calvin immer wieder auch mahnend an städtische Behörden: Sie sollten ihre Verantwortung für das soziale Wohlergehen der Einwohner wahrnehmen und dafür sorgen, dass „unter den Menschen Menschlichkeit bestehen bleibt“ (Institutio IV 20, 3).

 

Keine Ausreden!

Wenn es nach Calvin geht, sollte uns allen daran gelegen sein, Tag für Tag ein „Stücklein“ auf dem „Weg des Herrn“ weiterzukommen: „Wir sollen also rasch aufhören, mit Ausflüchten unsere Hände in Unschuld zu waschen, und ja nicht sagen: Oh, ich kann nicht so viel tun, wie man für gut findet. Wir sollen uns nicht so verhalten wie die, die immer Ausreden haben, wenn man vom Almosen spricht, sodass es scheint, man müsse sie vors Richtbeil zerren, damit sie endlich ihren Geldbeutel öffnen.“ – „Wir bleiben immer schuldig, wenn wir die Gelegenheit zur Wohltat nicht ergreifen.“ (Institutio III, 6, 5; Predigt zu 5. Mose 15, 11-15)

 

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Barbara Schenck und Georg Rieger
Reformierter Bund